Blick auf das neue Rathaus in Künzelsau.

Wege nach Künzelsau – Was wäre Künzelsau ohne Zuwanderung?

Persönliche Lebenswege aus sieben Jahrzehnten – Hans Peter Archner im Gespräch mit Menschen, die in Künzelsau Heimat fanden

Gruppe von dreizehn Menschen, die nebeneinander stehen
Talkrunde: Sie berichteten über ihre Wege nach Künzelsau. Fotos Olivier Schniepp, Foto Linke GmbH.

Was wäre Künzelsau ohne Zuwanderung? Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage ist die für Integration zuständige stellvertretende Hauptamtsleiterin Marion Hannig-Dümmler auf die Idee gekommen, für jedes Jahrzehnt seit 1950 Bilder und Menschen berichten zu lassen. Vor kurzem ging es in der Stadthalle deshalb unter dem Motto „Wege nach Künzelsau“ um sieben Jahrzehnte Stadtgeschichte aus einer ganz persönlichen Perspektive.

Als Moderator eingeladen hatte Hannig-Dümmler einen ehemaligen Künzelsauer, der reichlich Erfahrung im Führen von Interviews mitgebracht hat. Hans-Peter Archner, der frühere stellvertretende Direktor beim SWR-Fernsehen, moderierte den Gesprächsabend. Die Besucherinnen und Besucher zeigten sich beeindruckt davon, wie stark die Neubürgerinnen und Neubürger die Stadtgesellschaft verändert haben. Um deutlich zu machen, was für eine Umgebung die Ankommenden vorfanden, wurden historische Fotos aus den jeweiligen Jahrzehnten gezeigt.

drei Seniorinnen mit einem Moderator auf der Bühne, im Hintergrund Fotos von früheren Arbeitssituationen, im Vordergrund Publikum
Sigrid Maibaum, Maria Zürn und Hilde Hornung im Gespräch mit Hans-Peter Archner.

Auch Hans-Peter Archner ging darauf ein, dass Künzelsau seinen Aufstieg zum prosperierenden Industriestandort mit Weltmarktführern wie Würth vor allem auch den im Verlauf der Jahrzehnte zahlreich zugewanderten Menschen und deren gelungener Integration verdankt. Die Gründe für die Zuwanderung sind dabei unterschiedlich. In den 50er Jahren kamen die Heimatvertriebenen. Die Einwohnerzahl sei damals sprunghaft von 3000 auf 8000 angestiegen, so Archner. Dass der Neuanfang nicht einfach war, weiß der Moderator aus eigener Erfahrung. Auch seine Eltern mussten sich als Flüchtlinge aus dem heutigen Polen eine neue Existenz aufbauen.

Wie sie im Verlauf der 1950er Jahren in Künzelsau wieder neu angefangen haben, darüber berichteten drei Seniorinnen. Sie kamen an mit nicht viel mehr als dem, was sie tragen konnten. Sigrid Maibaum wurde aus Niederschlesien im heutigen Polen vertrieben. Maria Zürn und Hilde Hornung stammen aus dem Böhmerwald, der jetzt zu Tschechien gehört. In Künzelsau fanden sie nicht nur Unterkunft, sondern auch eine neue Heimat. Dass es für die Kinder auch Hürden gab, bestätigte Sigrid Maibaum. Sie sei „sehr gut aufgenommen worden“, erinnert sich die Seniorin, habe jedoch Sprachprobleme gehabt, „weil ich vieles nicht verstanden habe“. Mit ihrem Hochdeutsch sei sie angeschaut worden, als ob sie von einem anderen Stern gekommen sei, fügte sie schmunzelnd dazu. Das ist längst Vergangenheit.

zwei Frauen im Gespräch mit dem Moderator auf der Bühne, im Hintergrund Foto eines griechischen Tanzes beim Stadtfest
Konstantia Bachtsetzi ist als junge Griechin mit ihrem Verlobten, einem Griechen, nach Künzelsau gekommen. Ihre Tochter Katerina Tsiligiri ist hier geboren.

Inzwischen sind sie genauso Künzelsauerinnen wie der hier geborene Costa Papadopoulos. Als Sohn griechischer Gastarbeiter, die in Künzelsau 1964 mit dem Ochsen in der Hauptstraße eine Traditionsgaststätte mit Erfolg übernommen hatten. Nun führt der Sohn das Lokal seiner Eltern weiter, und zwar als modernes Bistro-Café Oxn. Griechische Zuwanderer sind ein bedeutender Teil der Stadtkultur geworden. Nicht zufällig nutzt die griechisch-orthodoxe Gemeinde die frühere katholische Kirche als ihren Gottesdienst-Raum. Costa Papadopoulos konnte nicht persönlich berichten, weil er wegen Personalmangels an dem Abend selbst hinter dem Tresen stehen musste.

Gern hätte Archner seinen Schulfreund Heiner Sefranek vom Jeans-Hersteller Mustang zu den historischen Bildern aus seiner Näherei interviewt, dieser musste kurzfristig seine Teilnahme zu der Veranstaltung absagen, die Hannig-Dümmler im Rahmen der „Strategie 2030 – Wir gestalten gemeinsam unsere Zukunft in Künzelsau“ organisiert hat. Der Gesprächsabend am 20. Oktober 2022 mit verschiedenen langjährigen und neuen Einwohnerinnen und Einwohnern sollte zeigen, welche unterschiedlichen Wege nach Künzelsau führen und wie man hier Freundschaft und Heimat findet. Oft nur für einen Lebensabschnitt gedacht, bleibt Künzelsau doch die Heimatstadt oder der Ausgangspunkt von spannenden Entwicklungen. Lebenswege, die nach Künzelsau führten, standen deshalb im Mittelpunkt der Talk-Runde, bei der Moderator Hans-Peter Archner mit Zeitzeugen aus den verschiedenen Epochen sprach.

Stefan Kraut, links, berichtete über seinen Start in Künzelsau.

In den 70er Jahren kam Stadtarchivar Stefan Kraut nach Künzelsau, dessen Vater 1951 nach Montevideo ausgewandert war. Nachdem der Vater in politischen Wirren in Uruguay sogar entführt worden war, kehrte die Familie nach Künzelsau zurück, wo ihre Wurzeln bis ins Jahr 1630 zurückreichen. In den 80er Jahren kam Konstantia Bachtsetzi als junge Griechin mit ihrem Verlobten, einem Griechen, der in Künzelsau aufgewachsen ist, zurück nach Deutschland. Ihre Tochter Katerina Tsiligiri wird hier geboren und besucht in Künzelsau neben der üblichen deutschen Schule auch die griechische Schule, wie alle griechischen Kinder. Sie fühlen sich heute in Künzelsau wohl genauso wie Hannig-Dümmlers Mann Hauke Hannig.

Als er 1992 sein Studium an der Fachhochschule Heilbronn Außenstelle Künzelsau beginnen wollte, mietete sich der Großstädter in Heilbronn eine Wohnung direkt in Bahnhofsnähe, um via öffentlicher Verkehrsmittel gut von Heilbronn nach Künzelsau und auch nach Bremen zu kommen. Zum Start des Semesters habe ihn fast der Schlag getroffen, da die öffentlichen Verkehrsmittel nicht unter drei Stunden Fahrtzeit die Hochschul-Außenstelle erreichten - was einen Umzug von Heilbronn nach Künzelsau und die Anschaffung eines Autos erforderte.

zwei Herren sitzen auf einer Couch auf der Bühne
Hauke Hannig, links, kam als Student und ist geblieben. Inzwischen lebt er seit 30 Jahren in Künzelsau.

Auch war der Dialekt der Dozenten eine große sprachliche Herausforderung für den Norddeutschen. Schließlich fand es der heutige Kommunikationschef von ebm-papst „klasse, dass an der Hochschule und in der Kleinstadt alles viel familiärer und persönlicher war als in der Großstadt und man sich schnell zuhause fühlte“ und stellt fest „es sind nun 30 Jahre Künzelsau - länger als ich in Bremen lebte“.

Extra aus ihrem heutigen Wohnort Würzburg angereist waren Neofit Vasilev und seine Frau Öznur. Das Ehepaar erinnert sich gern an die Zeit von 1998 bis 2008 in Künzelsau. Er machte seinen Weg ebenfalls über die Hochschule – nach internationaler Diplomarbeit etablierte er sich zum Verkaufsleiter bei der Mode-Firma Mustang. Außerdem hatte das Ehepaar zusammen mit einem Geschäftspartner zwei Modeläden in Künzelsau - da sich der Student Vasilev mit einem seiner Mitstudenten Jörg Andoleit bereits im zweiten Semester über die fehlenden Einkaufsmöglichkeiten für junge Leute nicht nur wunderte, sondern auch etwas in der Stadt verändern wollte.

in einer Couch auf der Bühne sitzen zwei Herren und eine Dame und sind im Gespräch
Neofit Vasilev und seine Frau Öznur sind aus Würzburg zum Talk-Abend gekommen.

Viele weitere Menschen kamen, in den 90er Jahren Tausende vor allem aus Russland, die sich im Neubaugebiet Taläcker ansiedelten und von der kurzfristig erkrankten Natalia Zeller repräsentiert werden sollten. Für die Zeit nach 2000 stehen Ilona Nies aus Kiew und Omar Alkhalaf aus Syrien. Nies ist seit 2013 in Künzelsau verheiratet, Alkhalaf floh 2015 vor dem Krieg. Beide betreuen bei der Stadtverwaltung Geflüchtete. Die Besucherinnen und Besucher in der Stadthalle beeindruckten die Parallelen in den Geschichten der Geflüchteten seit den 50er Jahren.

zwei Herren auf der Bühne
Omar Alkhalaf ist aus Syrien gekommen und ist heute Integrationsmanager bei der Stadtverwaltung Künzelsau.
eine Frau und ein Mann auf der Bühne im Gespräch
Ilona Nies ist seit 2013 in Künzelsau und kommt aus Kiew.